Texte zum Hörverstehen: "Auswahlverfahren an der Hochschule"

Länge: 4:13 Minuten

Interviewerin:

Die Universitäten sollen künftig mehr Freiheit bei der Auswahl ihrer Studierenden haben. Einige Hochschulen nutzen diese Freiheit auch heute schon. Die Mediziner der Uni Essen-Duisburg wählen zum Beispiel seit 1988 einen Teil ihrer Studierenden selbst aus. Darüber möchte ich heute mit meinen beiden Gästen reden, und zwar sind das Herr Dieter Kolb, Dekan der Medizinischen Fakultät, und Jonas Hübner, Medizinstudent im vierten Semester. Herr Hübner, Sie haben Ihren Studienplatz vor zwei Jahren über ein Auswahlgespräch bekommen - waren Sie damals sehr aufgeregt?

Jonas Hübner:

Ja natürlich, denn ich wusste ja gar nicht, was mich dort erwartet. Im Endeffekt war die Aufregung aber gar nicht nötig: Dieses Gespräch fand in einer sehr entspannten Atmosphäre statt, man kriegte erst mal einen Kaffee angeboten. Es war alles sehr gut organisiert und eigentlich musste man sich davor nicht fürchten.

Interviewerin:

Herr Kolb, können Sie uns kurz erklären, worum es bei solchen Auswahlgesprächen geht?

Dieter Kolb:

Nun, zunächst einmal ist es so, dass jeder Bewerber zu einem Einzelgespräch eingeladen wird. Eine Kommission aus zwei Prüfern versucht im Gespräch herauszufinden, ob der Kandidat oder die Kandidatin tatsächlich motiviert ist und auch geeignet für den Beruf als Arzt. Man fragt also zum Beispiel, warum der Kandidat Medizin studieren möchte, ob er schon einmal in einem Gesundheitsberuf tätig war oder was für Vorstellungen der Betreffende von der Tätigkeit als Arzt hat.

Aber das ist noch nicht alles, auch bestimmte Persönlichkeitsfaktoren spielen eine Rolle. Denn in dem halbstündigen Gespräch müssen die Prüfer außer den Antworten des Kandidaten auch noch dessen Ausdrucksfähigkeit beurteilen und sein Überzeugungsvermögen.

Interviewerin:

Herr Hübner, was haben Sie denn damals geantwortet, als Sie zu Ihrer Motivation befragt wurden?

Jonas Hübner:

Ja, also das war so: Ich hab' nach der Schule während meines Zivildienstes im Rettungsdienst gearbeitet und habe dort sehr viele Erfahrungen im medizinischen Bereich gesammelt. Da konnte ich mir auch das ganze Tätigkeitsfeld von Ärzten näher angucken und hab' da eigentlich erst festgestellt, dass mich das sehr interessiert.

Interviewerin:

Wie würden Sie denn das Auswahlverfahren insgesamt beurteilen - finden Sie es gerecht?

Jonas Hübner:

Im Prinzip ist es sicher ein ganz gutes, sinnvolles Verfahren. Aber wie bei jeder mündlichen Prüfung gibt es dabei ein großes Problem, und zwar, dass es in einem Gespräch mit Menschen immer subjektive Einflüsse gibt und es also nie so objektiv sein wird wie eine schriftliche Prüfung. Da kann es sicherlich auch vorkommen, dass man zum Beispiel durch ungeschicktes Auftreten einen schlechten Eindruck hinterlässt. Die Gefahr sehe ich auf jeden Fall. Ich kenne Bewerber, deren Gespräche alles andere als entspannt abgelaufen sind. Die Maßstäbe sind ziemlich hoch und am Ende wird nur ungefähr ein Drittel der Bewerber zum Studium zugelassen. Da steht für den Einzelnen sehr viel auf dem Spiel.

Interviewerin:

Herr Kolb, kommt es auch manchmal vor, dass die beiden Prüfer bei der Einschätzung eines Kandidaten zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

Herr Kolb:

An so einen Fall kann ich mich eigentlich nicht erinnern. Insgesamt ist es schon so, dass immer mal wieder kleine Unterschiede rauskommen, aber die Tendenz ist meistens ähnlich. Das heißt, man liegt bei der Beurteilung immer recht nah beieinander.

Interviewerin:

Noch eine letzte Frage, Herr Kolb. Glauben Sie, dass in Zukunft alle Hochschulen solche Auswahlgespräche durchführen werden?

Herr Kolb:

Meiner Ansicht nach sind die Auswahlverfahren sehr wichtig. Sie werden sich sicher auch bald in anderen Studienfächern durchsetzen. Der Nachteil ist allerdings, dass sie sehr viel Zeit und Personal kosten. Sie sind also sehr aufwändig. Man wird daher wahrscheinlich bei einem Verfahren bleiben, wo auf der einen Seite die Auswahlgespräche, auf der anderen Seite weiter die klassische Zuteilung von Studienplätzen steht.

Interviewerin:

Ich danke Ihnen für das Gespräch.